Storytelling Chronik von einem, der die Erde bereits seit langer Zeit im Blick hat.
Ich habe meinen Entschluss, die Erde zu verlassen, nie bereut. Und auch das zurückliegende Jahr ändert meine Meinung nicht. Eines muss ich den Menschen jedoch lassen: Sie bieten jedes Jahr beste Unterhaltung. Heute erzähle ich euch, was ich die letzten zwölf Monate alles beobachtet habe. Mein Rückblick 2019: Die Geschichte eines Jahres. Storytelling Chronik von einem, der die Erde stets im Blick hat.
Die Geschichte beginnt bei mir vor der Tür. Es ist der 3. Januar und erstmals seit vielen einsamen Jahren bekomme ich wieder Besuch. Zwar kann ich mich mit den Gästen nicht unterhalten, doch dafür gibt es um so mehr zu sehen. Den Chinesen gelingt erstmals die Landung auf der Rückseite des Mondes. Und ihr Roboter-Fahrzeug „Jadehase“ macht – wenn auch ungefragt und damit nicht DSGVO-konform – schöne Fotos von meinem Planeten. Ich fürchte allerdings, dass ich den Besuch so schnell nicht wieder loswerde. Die Chinesen haben angekündigt zu bauen.
Schlagartig wechselt die Story das Genre von Sience Fiction zu Horror: Eine Pressekonferenz: Die Polizei Lippe und die Staatsanwaltschaft berichten, dass mehrere Männer über Jahre Kinder sexuell missbraucht haben. Und weil solche Fälle sonst viel zu profan wären, haben sich die Erdlinge etwas besonders Abscheuliches ausgedacht: Der Sondermittler des Falles stößt bei den Untersuchungen auf einen wegen Kinderpornografie vorbestraften Beamten bei der Polizei im Kreis Lippe. Dramaturgisch super gemacht.
Rückblick 2019: Die Geschichte eines Jahres
Dann fällt die Handlung leicht ab. Im Februar bieten mir die Erdbewohner nicht viel Neues: Es ist kalt und Quarterback Tom Brady gewinnt mit den New England Patriots wieder den Super Bowl.
Ein Schicksalsschlag ereilt die Protagonisten. Die Welt verliert im Februar einen weiteren großen Karl. Im Alter von 85 Jahren stirbt Modeschöpfer Karl Lagerfeld in Paris. Die Todesursache ist laut Medienberichten eine Bauchspeicheldrüsenkrebs-Erkrankung. Selbst vom Mond aus habe ich diesem unnahbaren Mann gerne dabei zugeguckt, wie er die Welt in schwarz und weiß gekleidet hat.
Schwarz und weiß, Gut gegen Böse. Die Erde greift auf bewährte Muster zurück. Während am 15. März im neuseeländischen Christchurch ein 28 Jahre alter Australier 50 Menschen in zwei Moscheen erschießt – und live ins Internet streamt. Demonstrieren in etwa 100 Ländern Hunderttausende Menschen für die Rettung des Planeten. Die schwedische Schülerin Greta Thunberg hat geschafft, was vorher keiner NGO, keiner Partei und keinem Skandal gelungen war: Ein breite gesellschaftliche Debatte über den Umweltschutz. Groß, was die Kleine da leistet.
Umwelt und Menschen scheinen versöhnt, da zerstört am 15. April ein Feuer Notre-Dame. Das Wahrzeichen Frankreichs brennt lichterloh. Tausende Menschen spenden innerhalb weniger Tage mehrere Millionen Euro für den Wiederaufbau. Aus der Ferne betrachtet, würde ich zwar sagen, das Geld wäre besser in Mägen und Köpfe investiert als in Steine – aber wer bin ich schon?
Die Story erreicht scheinbar ihren Höhepunkt

Die Handlung nimmt Fahrt auf und erreicht im Mai scheinbar ihren Höhepunkt: Am 6. Mai schenkt Herzogin Meghan ihrem Harry einen kleinen Prinzen Namens Archie Harrison. Und die Geburtsurkunde verrät schließlich, dass der Kleine in einer Privatklinik zur Welt gekommen ist und nicht zu Hause – Kreisch. Und keine zwei Wochen später läuft das große Finale von „Game of Thrones“: Macht, Gier, Maßlosigkeit, Exzesse und in der Hauptrolle: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache … Oh, ich verwechsle da etwas. Im Mai geht es einfach zu schnell …
… denn noch bevor „GoT“-Fans sich langweilen, erscheint mit „Die Ibiza-Affäre“ ein absoluter Kassenschlager. Im Film verschachert der Vizekanzler sein geliebtes Österreich an eine vermeintliche russische Oligarchin. Er verspricht Einfluss, sie Geld. Die Geschichte endet dramatisch mit dem Ende der Regierungskoalition – Kurz, Schluss!
Jetzt kommen echte Gefühle ins Spiel: Deutschland ist eifersüchtig auf das kleine Nachbarland. Doch was tun? In einem Schnellschuss billigt der Bundesrat daher die Zulassung von E-Scootern. Die Intention: „Seht her, bei uns bewegt sich was.“ Seitdem kommt in deutschen Großstädten allerdings niemand mehr vorwärts. Fußgänger und Radler stolpern oder stürzen über die auf Geh- und Radwegen liegenden Roller, Autofahrer haben ständig einen Fuß auf der Bremse, aus Angst einen besoffenen Scooter-Piloten über den Haufe zu fahren. Glückwunsch, Deutschland hat wieder mehr Aufmerksamkeit.
Im Juni wird dann die SPD von Eifersucht zerfressen: Denn dank Rezos Video „Die Zerstörung der CDU“ stehen die Christdemokraten uneingeschränkt im Mittelpunkt – und das kurz vor der Europawahl. Lange Zeit fällt den Sozialdemokraten nichts ein, doch am 3. Juni erobern sie sich die Aufmerksamkeit zurück: Andrea Nahles erklärt ihren Rücktritt als Partei- und Fraktionsvorsitzende. Gratulation. Die SPD hat verstanden, dass personelles Chaos bei gleichzeitigem inhaltlichen Stillstand für maximale mediale Aufmerksamkeit sorgen.
Storytelling: Ein Schuss reißt alle aus der Monotonie
2. Juni: Ein Schuss in der Nacht reißt alle aus der Monotonie: Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wird auf seiner Terrasse aus nächster Nähe erschossen. Der Täter kommt – wieder mal – aus der rechten Ecke.
Das große Zittern beginnt: Merkel muss sich nach einem „Schwächeanfall“ die Nationalhymne im Sitzen anhören. Und die SPD hat Angst, dass den Deutschen allmählich auffällt, dass sie die Sozis gar nicht mehr brauchen. Daher stimmen sie bockig gegen die CDU-Uschi. Ursula von der Leyen wird dennoch die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission.
Erneuter Genre-Wechsel: Drama. Der Herbst zieht in Deutschland bereits im September ein und färbt den Osten braun. Bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg gewinnt die AfD jeweils zweistellig. Und es sind längst nicht mehr nur die alten Verbitterten, die rechts wählen. Ich mache mir große Sorgen um die Erdlinge,
Im Oktober wird der Herbst noch trister: Ein Rechtsextremist erschießt in Halle zwei Menschen – und es hätten noch viel mehr werden können. Und da die Menschen immer noch nicht verstanden haben, wozu rechtes Gedankengut führen kann, wählen in Thüringen 23,4 Prozent die AfD. Mir fällt nichts mehr ein.
Das Ende der Geschichte: Ist das bereits die Sintflut?

Ist das Hochwasser in Venedig Mitte November der Beginn einer Sintflut? Nein. Das Wasser zieht sich wieder zurück. Und dabei geht fast unter, dass die SPD eine neue Doppelspitze gewählt hat. Saskia Walter und Esken Borjans … nein, Eskens Norbert und Walters Saskia … auch nicht, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erhalten auf dem Parteitag 75,9 beziehungsweise 89,2 Prozent der Stimmen. Mal sehen, ob ich mir die Namen merken kann, bevor sie zurücktreten.
Der Rückblick 2019: Die Geschichte eines Jahres nähert sich ihrem Ende. Doch kurz bevor es zu besinnlich wird, schlagen in Augsburg ein paar Jugendliche noch mal schnell einen Feuerwehrmann auf dem Weihnachtsmarkt tot – und zwar am Nikolaustag. Keine Satire, sondern die geballte Beschissenheit des menschlichen Seins.
Ich möchte eigentlich nicht mehr weiter gucken. Doch es ist noch nicht zu Ende. Und der Regisseur legt noch mal einen drauf: Roxette-Sängerin Marie Fredriksson stirbt am 13. Dezember mit nur 61 Jahren. Und während ich noch „It must have been love. But it’s over now.“ in den Ohren habe, wählen die Briten Boris Johnson.
Soweit der Rückblick 2019: Die Geschichte eines Jahres. Doch wie geht es jetzt weiter in Europa? Und was macht eigentlich Donald Trump? Cliffhanger ohne Ende. Eines ist klar, Ich bleibe auch im nächste Jahr dran, abschalten ist keine Option. Ich wünsche euch einen guten Start ins nächste Jahr.
Euer Mann im Mond
PS: Wenn ihr Hilfe braucht beim Entwickeln eurer Business-Geschichte für Pressemitteilungen, Webseite oder Social Media – ich kenn da jemanden auf der Erde.